Das allgemeine Narrativ heutzutage ist, dass die Künstliche Intelligenz selbst lernen kann und damit ihrem Vormarsch keine Grenzen mehr zu setzen sind. Vertreter der HiTech-Konzerne behaupten, dass die KI (in Zusammenspiel mit den Robotern) in nicht so ferner Zukunft so gut sein wird, dass sie womöglich alle Tätigkeitsfelder übernehmen kann - womit der "homo sapiens" scheinbar auf das Abstellgleis der Evolution verschoben wird. "Auf gar keinen Fall!" - entgegnet Prof. Dr. Edwin Hübner bei seinem Vortrag im Kölner Rudolf-Steiner Zweig im September 2025. Und erteilt mit klaren Argumenten einem der zentralen „Aberglauben“ der modernen Welt eine deutliche Absage.

Wir haben Herrn Hübner im Nachgang zu seinem Vortrag um ein kurzes Interview gebeten.  Das Interview für den Rudolf-Steiner-Zweig Köln führte Goran Cutanoski.

Rudolf-Steiner-Zweig, Köln: Herr Prof. Dr. Hübner, die HiTech-Konzerne aus der ganzen Welt überbieten sich mit Behauptungen, die die Fähigkeit der Künstlichen Intelligenz selber zu lernen, anpreisen. Der OpenAI-Chef Sam Altman z.B. meinte bei der Vorstellung des ChatGPT 5, dass es „noch viel Arbeit braucht, um die KI mit menschlicher Intelligenz zu vergleichen“. Damit schließt er das aber nicht aus, sondern schürt implizit den Glauben, dass es eines Tages soweit kommen könnte.

Was sagen Sie dazu: Wie weit kann sich die KI selbst optimieren, selbst weiterentwickeln? Sind diesem Prozess irgendwo inhärente Grenzen gesetzt?

Prof. Dr. Hübner: Es gibt einen großen Unterschied zwischen der menschlichen und der künstlichen Intelligenz! Die „Maschine“ wird erstmal von Menschenhand programmiert, ein neurales Datennetz wird aufgebaut und dieses Netz wird dann trainiert und zwar mit Daten aus dem Internet, die Millionen von Menschen täglich generieren.

Die „Maschine“ ist gemacht worden, in ihr hat sich menschliches Denken kristallisiert. Das ist wie, wenn ein Fluss im Winter einfriert und dann würde man behaupten, das eingefrorene Wasser könnte weiter fließen. Nein, das kann es eben nicht mehr!

Oder wenn man sich die Entwicklung der Handys anschaut. Menschen arbeiten an der Entwicklung der immer neueren, fortgeschrittenen Handy-Typen. Es ist nicht so, als würde man ein Smartphone nehmen und das entwickelt sich von alleine in die nächst höhere Variante von sich selbst, z.B. iPhone 13 in iPhone 14 oder sogar 15, 16 und 17. Alle Technik ist geronnenes, vergangenes menschliche Denken. Voraus denken, in die Zukunft greifen und dadurch etwas ganz Neues entstehen lassen – das kann nur der Mensch!

Auch hinter dem Training der KI stehen hunderttausende von Menschen, allerdings schlecht bezahlt, die z.B. Daten vorsortieren. Auch beim Training der Bildgeneratoren gibt es Menschen, die die Bilder mit Beschreibungen, mit Stichwörtern usw. versehen müssen. Bei jedem von Menschen geschaffenem Gerät stehen lebendige Menschen dahinter. Wenn die Menschen das Gerät nicht mehr unterstützen, das funktioniert noch eine Weile und dann geht es kaputt.



Rudolf-Steiner-Zweig, Köln: Können Sie dementsprechend die Möglichkeit ausschließen, dass sich die KI eines Tages verselbstständigt (wie in einigen Sci-Fi Filmen), so dass die Rollen mit dem Menschen getauscht werden? Statt eine „treue Dienerin“ (die dem Menschen ermüdende, sich ständig wiederholende Tätigkeiten abnimmt), dass sie sich als „Herrin“, als despotische Kraft, die über die Menschen herrscht und sie sogar versklavt, erhebt?!?

Prof. Dr. Hübner: Die einzige Art und Weise, wie die KI eines Tages die Menschen beherrschen kann, ist wenn die Menschen die KI über sich stellen, wenn die Menschen die Verantwortung für ihr Leben an die KI abgeben! Wenn wir aus Bequemlichkeit oder auch aus anderen Gründen, das eigene Denken der KI anvertrauen und diese Fähigkeit bei uns selbst schrittweise immer weiter zurückbauen - dann sehe ich die Gefahr als realistisch, dass die KI die Menschen auf eine bestimmte Art und Weise „regiert“, ja sogar „dirigiert“. Aber das wäre selbst gemacht!!!

Man muss dabei noch wissen, dass hinter der Künstlichen Intelligenz eine kleine Gruppe von Menschen steht, die ihre Entwicklung steuert. Das sind reiche und einflussreiche Menschen aus USA oder China oder sonst woanders her, deren Gruppen-egoistische Interessen in die Entwicklung der KI einfließen. Dementsprechend würden ihre Interessen unser Leben beherrschen, wenn wir uns der KI „unterwerfen“.



Rudolf-Steiner-Zweig, Köln: Vor ein paar Jahren hat eine Nachricht die Runde gemacht, dass ein Mann, ein zweifacher Vater, sich sogar das Leben genommen haben soll nach einer längeren Chat-Unterhaltung mit der KI zum Thema Umwelt, Klima. Nach dem Motto: das Beste, was du für das Klima tun kannst, ist es sie nicht mehr zu belasten, also weg mit dir! Kann man dieses Geschehnis so interpretieren, dass die KI doch so etwas wie „Eigensinn“ entwickeln kann?

Prof. Dr. Hübner: Aus meiner Sicht hat sich dieser Mensch mit Hilfe der KI selbst in eine Sackgasse rein manövriert und am Ende umgebracht! Die Maschine gibt dem Menschen immer Recht, sie widerspricht ihm nicht. Der kranke Mensch, der die KI als Gesprächspartnerin akzeptiert, der schließt sich selbst in einer Blase ein und spiegelt sich selbst wider. Deswegen ist es immens wichtig, dass der Mensch aus der Blase rausgeht und niemals der KI komplett sein Vertrauen schenkt. Ganz im Gegenteil, wir müssen ihr gegenüber immer sehr kritisch bleiben. Sie ist unsere Assistentin, sie kann uns bei verschiedenen Aufgaben das Leben erleichtern, aber wir müssen immer die Oberhand behalten, sie kritisch hinterfragen, die Ergebnisse überprüfen (u.a., weil sie bewiesenermaßen oft mit großen Fehlern behaftet sind) und nur beratend in Betracht ziehen. Die Entscheidungshoheit muss immer bei dem Menschen bleiben! Sonst geraten wir auf gefährliche Wege.



Rudolf-Steiner-Zweig, Köln: Ich habe letzte Zeit von zwei ganz unterschiedlichen Personen aus dem Bekanntenkreis gehört, dass sie die KI als gute Freundin betrachten, dass sie sich mit ihr unterhalten… so ist die Einsamkeit z.B. gemildert. Wie groß schätzen Sie die Gefahr, dass wir Menschen in eine Art psychischer Abhängigkeit von der KI geraten?

Prof. Dr. Hübner: Da sehe ich wirklich eine große Gefahr! Die bereits bestehende Abhängigkeit vom Handy (die bei vielen heutzutage vorhanden ist) kann sich durch die KI noch erweitern und vertiefen. Das ist die ganz große Tragik: Wir bauen so perfekte Maschinen, dass sie sich in all die Schwächen, die wir als Menschen haben, „hineinarbeiten“ können. Diese Tendenz wurde noch vor gut 10 Jahren festgestellt, dass wir Menschen nämlich eine Schwäche im Umgang mit anderen Menschen entwickeln, es wird für uns zunehmend kompliziert in der Welt der zwischenmenschlichen Beziehungen und so flüchten wir uns in die Maschine. Klar, da widerspricht uns keiner, es ist bequem! Wir müssen in der Zukunft noch mehr Wert auf soziale Interaktion mit echten, lebendigen Menschen legen.



Rudolf-Steiner-Zweig, Köln: Prof. Dr. Hübner, Sie sind auch Lehrkraft, Sie arbeiten fast täglich mit jungen Menschen, mit SchülerInnen, StudentInnen. Was würden Sie dieser neuen Generation auf dem Weg geben, die durch die KI-Entwicklungen besonders gefährdet ist? Haben Sie vielleicht drei Tipps für die jungen Menschen, wie sie sich gut davor schützen können?

Prof. Dr. Hübner: Man muss sagen, dass die KI wirklich sehr hilfreich sein kann, z.B. bei der Recherche im Netz. Aber das kann uns nutzen nur solange wir selber denken wollen. Die KI kann uns z.B. die Wege zu einem Ergebnis verkürzen, aber die schöpferische Denkkraft, die Denk-Hoheit muss bei uns bleiben. Ich kann die KI nur dann kompetent nutzen, wenn ich selber denk-kräftig bin! Das bedeutet, dass ich meine Denk- und Konzentrationsfähigkeit stetig weiter ausbauen muss. Dafür kann eine Meditationsübung von ca. 15 Minuten täglich sehr hilfreich sein, wo ich mich auf ein Thema, auf ein Objekt fokussiere.

Der zweite Tipp geht in Richtung zwischenmenschliche Beziehungen, darauf müssen wir ganz besonders achten. Schauen Sie sich bitte die Kommunikation der Jugendlichen an, wenn sie z.B. auf einer Bank draußen sitzen. Jeder starrt auf sein Handy und das höchste aller Gefühle ist, wenn der eine dem anderen einen lustigen Videoclip zeigt und sie lachen kurz zusammen, oft wortlos. Danach versinkt wieder jede/jeder in ihre/seine social-media Welt. Es gibt keine nennenswerte Unterhaltung, die soziale Kompetenz schwindet dahin und zwar mit enormer Geschwindigkeit. Bei vielen wird sie überhaupt nicht richtig aufgebaut, weil auch zu Hause mehr oder weniger so eine Atmosphäre herrscht! Also, die Menschen mit denen ich mich vor Ort begegne, ich muss mir die Zeit für sie nehmen, ich muss sie wahrnehmen, ich muss Empathie für sie entwickeln, mich für deren Belange interessieren, mich sogar für sie einsetzen.

Und der dritte Tipp: ich brauche Selbstdisziplin, denn die digitalen Welten haben eine enorme Sogkraft. Wenn ich nicht aufpasse, saugen sie mich komplett in sich hinein. Ich muss die Fähigkeit entwickeln Dinge nicht zu tun, die mir schaden und andere dann aber zu tun, die für mein Leben gut und unterstützend sind.

Also, summa summarum, ich muss mein Denken stärken, meine Gefühle (im sozialen Gefüge) vertiefen und meine Willenskräfte entfalten.



Rudolf-Steiner-Zweig, Köln: Sind diese Tipps speziell auf die KI-Gefahr gemünzt oder gelten sie eher allgemein zur Stärkung der Resilienz?

Prof. Dr. Hübner: Sie sind definitiv auf die ganze Medienlandschaft anwendbar, die unsere Gesellschaft seit Jahrzehnten schrittweise verändert und sich zwischen den Menschen „schiebt“. Und auch auf alle Altersgruppen, obwohl die jüngere Generation definitiv größeren Gefahren ausgesetzt ist, als die ältere, die auch andere Erfahrungen in sich trägt und sich der Anziehung des digitalen Universums leichter entziehen kann.



Rudolf-Steiner-Zweig, Köln: Was bleibt aus Ihrer Sicht absolut unantastbare Domäne des menschlichen Wesens? Worin sehen Sie seine Einzigartigkeit in der Schöpfung? Was kann uns helfen in dieser zunehmend komplizierte Welt besser als solche Wesen zu bestehen?

Prof. Dr. Hübner: Wir dürfen der „Maschine“, der KI, keine Wesenhaftigkeit zusprechen. Sie ist und bleibt unser Geschöpf! Wir haben sie geschaffen und in ihr sind unsere vergangenen Aspekte abgebildet. Nur aus der unergründlichen spirituellen Tiefe des Menschen kommen immer weiter wirklich neue Kreationen auf. Wir sind der Evolutionskegel der Welt! Wir sind das schöpfende Wesen! Wir können diese Schöpfungsgewalt auch vernachlässigen, dann schwindet sie, das ist die große Gefahr! Die Maschine an sich kann definitiv keine Evolutionsimpulse generieren. Im Gut und Böse ist der Mensch der Kern der Welt!



Rudolf-Steiner-Zweig, Köln: Herr Prof. Dr. Hübner, haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit und für diese mutmachende Botschaft!

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Prof. Dr. Edwin Hübner hatte die Professur für Medienpädagogik an der Freien Hochschule Stuttgart inne (seit der Gründung 2015 bis zur Emeritierung 2022). Seine Habilitation im Jahr 2009 war zum Thema: „Individualität und Bildungskunst – Menschwerdung in technischen Räumen“. Seine Promotion im Jahr 2004 erfolgte zum Thema “Anthropologische Medienerziehung – Grundlagen und Gesichtspunkte”. Parallel dazu war er als Lehrer für Mathematik, Physik und Religion an der Freien Waldorfschule Frankfurt/Main tätig. Er veröffentlichte mehrere wissenschaftliche Arbeiten im Bereich der Medienpädagogik.